Das 19. Jahrhundert, die Zeit des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Umschwunges, brachte auch dem damaligen Volksschulwesen einschneidende Neuerungen. Am 6. Juli 1835 erhielt Sachsen ein neues Volksschulgesetz, das die Volksschule als eine allgemeine, für jedermann unentbehrliche Unterrichtsanstalt festsetzte.
Der Schulbesuch war ja noch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts freiwillig und von den Arbeits- und Lebensbedingungen der Eltern abhängig. Viele Arbeiterkinder, die tagsüber durch Arbeit in den Fabriken zum Lebensunterhalt beitragen mussten, erhielten abends einige Stunden Unterricht in „Fabrikschulen“. Diese wurden von den Unternehmen eingerichtet, damit durch den Schulweg am Tage keine Arbeitszeit verlorenging.
Das neue Gesetz enthielt manche Verbesserungen, die aber vielfach nur auf dem Papier standen. Die Schulverhältnisse zeigten noch immer die alten Mängel: schlechte, vernachlässigte Schulräume, auch waren fast keine Lehrmittel vorhanden. Die Ausbildung der Lehrer war mangelhaft. Die früheren Stände bevorzugten noch immer die Lateinschulen, die es in größeren Orten gab. Nur die Bürger und Bauern interessieren sich allmählich für die Schulbildung.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse waren äußerst trübe, da der Staat der Schule keinerlei materielle Unterstützung bot. Durch den Aufschwung der heimischen Textilindustrie und die Zuwanderung von Arbeitskräften stieg die Anzahl der Schulkinder. Um das Jahr 1834 umfasste der Mylauer Schulbezirk die Orte Mylau, Obermylau, Lambzig, Friesen und Rotschau mit zusammen 2998 Einwohnern. Die Kinder aus Friesen und Rotschau wurden später umgeschult. Mit der Zunahme der Bevölkerung stieg die Zahl der Schulkinder von 462 im Jahr 1834 auf 748 im Jahr 1858 an.
Das alte Schulhaus, das Kantorat in der Heubnerstraße, reichte schon lange nicht mehr aus. Deshalb wurden im alten Weberhaus in der Webergase ein Klassenzimmer und im Trögerschen Haus in der Mühlgasse zwei weitere Klassenzimmer eingerichtet.
Das Weberhaus gehört zu den ältesten Häusern Mylaus. Es wurde im Jahre 1688 als Zusammenkunftshaus von der hiesigen Weber- und Gesellenvereinigung erbaut. Hier kamen die Meister und Gesellen zu ihren Beratungen zusammen.
Das Trögersche Haus war ein größeres Anwesen. Im Erdgeschoß wohnte auf der einen Seite Bürgermeister Tröger, auf der anderen Seite lag die Verkaufsstätte des Mylauer „Salzschankes“. Um zu den zwei Klassenzimmern im Obergeschoß zu gelangen, mußte man eine enge Holztreppe ersteigen. Auch ansonsten waren die Zimmer dürftig eingerichtet. Ein paar alte Holzbänke, ein Katheder, die Wandtafel und ein Kleiderhaken „für den Lehrer“ zählten zum Inventar. Die Kleidungsstücke der Kinder, vor allem die Holzpantoffeln, wurden auf dem Flur abgelegt. Der Unterricht beschränkte sich auf Lesen, Schreiben und Rechnen sowie religiöse Unterweisungen, die einen großen Raum einnahmen. Eine Einheitlichkeit gab es nicht. Es war jedem Schulmeister überlassen, die Stoffgebiete festzulegen. Wichtig war, daß der Schüler sich im Katechismus auskannte. Dabei spielte der Rohrstock eine wesentliche Rolle.
Die Unzulänglichkeiten der drei alten Mylauer Schulgebäude (Kantorat, Weberhaus und Trögersches Haus) wurden immer mehr spürbar und forderten dringend den Bau eines neuen Schulhauses. Am Markt auf der Brandstelle des Müllerschen Hauses, das in der Nacht zum 7.August 1855 mit noch 10 anderen Häusern ein Raub der Flammen wurde, legte man am 6.Mai 1858 den Grundstein zum neuen Schulgebäude. Am 18.Oktober 1859 war das Schulhaus mit 6 Unterrichtsräumen und 5 Lehrerwohnungen fertig und konnte benutzt werden. Nach Zeitungsberichten gestaltete sich die Übergabe zu einem großen Festtag für die Mylauer Schulgemeinde.
Die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts nahm die heimische Industrie einen großen Aufschwung, damit stieg auch die Anzahl der Bevölkerung und mit ihr die Zahl der Schulkinder. So mußten wiederum neue Räume gefunden werden. Man räumte deshalb das 1876 erbaute Lehrerwohnhaus und später noch zwei Räume der Reißmannschen Fabrik an der Reichenbacher Straße 25 für Schulzwecke. Ostern 1898 wurde die 7-stufige Volksschule in eine Knaben- und Mädchenabteilung mit 8 aufsteigenden Klassen umgewandelt.
Bis zur Jahrhundertwende stieg die Zahl der Klassen auf 33, die der Lehrer auf 21. Die Schülerzahl betrug im Jahre 1900 1525 Volks- und 136 Fortbildungsschüler. Man sah sich gezwungen, abermals eine Schule zu errichten.
1902 wurde die Hainschule erbaut, so daß alle provisorischen Schulräume jetzt aufgegeben werden konnten. Die Marktschule wurde durch bauliche Veränderungen den erhöhten Forderungen angepasst. So wurde z.B. das Zimmer 3 zum Physik- und Chemiezimmer umgestaltet. Ein großer Fehler war es, daß der hinter der Schule gelegene Schulgarten 1923 für schulfremde Zwecke abgegeben wurde, so daß die Kinder auch bei schönem Wetter in den Pausen im Schulhaus bleiben mussten.
Während des 2. Weltkrieges nahm die Marktschule sämtliche Klassen des Mylauer Schulverbandes auf, da die Hainschule als Lazarett eigerichtet wurde. Nach 1945 erhielt die Hainschule den Namen Erwin-Hartsch-Schule.
Kantorat
Altes Schulgebäude (Marktschule)
Reißmannsches Fabrikgebäude (Weberhaus)
Quelle: Museum Burg Mylau